Vegetatives Nervensystem – zum Verständnis und zur Therapie von Stress

Chronische Haltungsstörungen und Verziehungen der Körperstatik erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Störung des vegetativen Nervensystems eintreten kann. Und umgekehrt erzeugt ein chronischer Stresszustand seinerseits Muskelverspannungen des Rückens.

Das vegetative Nervensystem

Viele Krankheitserscheinungen (Symptome) sind über das vegetative Nervensystem erklärbar, und das vegetative Nervensystem ist der Austragungsort für Beeinträchtigungen des Körpers durch anhaltende äußere Stressoren. Dies können sowohl äußere elektromagnetische Impulse seien wie auch chronische Entzündungen oder psychosomatische Störungen.
Daher will ich heute erläutern, was das vegetative Nervensystem ist und welche Bedeutung zum Krankheitsverständnis hat und darstellen, welche therapeutischen Konsequenzen sich aus dieser Einschätzung ergeben.

Zunächst aber einige Worte zum willentlichen Nervensystem, dem Anteil des Nervensystems, an das die meisten Menschen denken, wenn sie diesen Begriff hören.

Die Bewegung der Arme und Beine können wir willentlich steuern, d.h., ich kann mich entscheiden, ob ich z.B. meine Faust öffne oder schließe, ob ich z.B. vorwärts oder rückwärts gehe. Dies beruht darauf, dass ich im Gehirn eine Entscheidung treffe und die Umsetzung dieser Entscheidung über Nervenimpulse durch das Rückenmark und weiter über Nervenbahnen an die Muskeln erfolgt.

Dafür ist also das willentliche Nervensystem verantwortlich. Dessen Zentrale – das Gehirn -, steuert diese Vorgänge und auch unsere willentlichen Überlegungen. So unterscheiden wir in diesem willentlichen Nervensystem das periphere (vom Gehirn zu den Muskeln ziehende) und das zentrale (im Kopf sitzende) Nervensystem.

Die Vorgänge im Körper, die unabhängig vom Willen ablaufen, werden vom unwillkürlichen Nervensystem gesteuert. Dieses wird auch als autonomes oder auch als vegetatives Nervensystem bezeichnet.

Es ist für eine große Anzahl von Körperfunktionen zuständig, zum Beispiel Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Verdauung, Harnblase, Schwellkörper, Stoffwechsel, Schwitzen. Auch die Muskelspannungen des Magens, Darmes, der Gallenblase und Harnblase und der Schließmuskeln hängen direkt vom vegetativen Nervensystem ab.
Die Muskelspannung in den Hohlorganen ist aber nicht immer gleich, sondern abhängig vom funktionellen Bedarf mal gespannter und mal lockererer.

Sympathikus und Parasympathikus

Damit die benötigte Spannung reguliert werden kann, wird das vegetative Nervensystem durch ein Gegenspielerpaar gesteuert (so genannter Sympathikus und Parasympathikus).
Diese beiden Komponenten sind in gleicher Weise gegensinnig vernetzt wie z.B. die beiden Sitzschalen bei einer Kinder-Wippe, wo das eine Kind steigt, wenn das andere sinkt, und umgekehrt. Wenn also die Aktivität des Sympathikus ansteigt, sinkt die Aktivität des Parasympathikus. Anders verdeutlicht, kann man die beiden Äste des vegetativen Nervensystems mit den Zügeln eines Pferdefuhrwerks vergleichen, wo zur Lenkung des Gefährts der linke Schenkel nachgibt, wenn der rechte gestrafft wird und umgekehrt.

Fight-flight-freeze

Der Sympathikus ist für alle Funktionen zuständig, die beim Kampf mit einem Feind benötigt werden, der Parasympathikus hingegen für alles, was mit innerem Rückzug, mit Verdauung und Ruhebedingungen zu tun hat. So erzeugt die Erregung im Sympathikus also verstärkte Muskeldurchblutung, Hautrötungen, Schweißdrüsenaktivität, Blutdruckanstieg, beschleunigte Atmung und beschleunigten Herzschlag, und das Blut wird an die Körperoberfläche transportiert, um dort für die Abwehr des äußeren Aggressors zur Verfügung zu stehen. Dementsprechend wird die Verdauung in dieser Zeit abgeschaltet, Müdigkeit verschwindet, die Erregung geht steht ganz im Vordergrund.

Regenration und Heilung

Der Parasympathikus ist für Entspannung, Verdauung und Ruhe zuständig. Die Durchblutung und die Energie wird aus der Körperoberfläche abgezogen und in die inneren Organe geführt, Atmung, Herzschlag und Blutdruck beruhigen sich. In dieser Situation ist Kämpfen nicht möglich.

Man sieht, dass je nach äußerem oder innerem Bedarf (Kämpfen, wenn ein Angriff stattfindet oder Verdauen bei vollem Magen) die Aktivität der Nervenimpulse im Sympathikus oder Parasympathikus ansteigen. So steht im Tagesverlauf mal die eine, mal die andere Komponente im Vordergrund, und im Normalfall ist die Waage zwischen beiden Teilen ausgeglichen.
Umso mehr Stressoren auf einen Menschen einwirken, desto eher muss sein vegetatives Nervensystem auf Kampf umschalten. Wenn aber die Abwehr des äußeren Aggressors nicht gelingt, weil die Stressursache fortbesteht (Arbeitsbedingungen, Sorgen, belastende Gedanken, elektromagnetischer Stress, Schmerzen, Entzündungen und vieles andere mehr), dann überwiegt die Erregung im Sympathikus längere Zeit, manchmal dauernd und der Parasympathikus erholt sich nicht.
Natürlich kann eine Daueranspannung nicht immer als Kampfmuster aufrechterhalten bleiben. Über kurz oder lang kommt es dabei zum Zusammenbruch der Spannung und zur kurzfristigen überschießenden Erregung im Parasympathikus, was z.B. Kreislaufkollaps oder andere Formen von Schwäche zur Folge hat.

Kompliziert wird die Beurteilung von Symptomen, die durch dieses Wechselspiel auftreten, noch dadurch, dass es nicht bei allen Menschen gleich abläuft, sondern abhängig ist von klimatischen Ausgangsbedingungen, von Vererbung und konstitutionellen Faktoren, vom Persönlichkeitstyp (ist jemand eher auf Kampf gebürstet oder ein stiller introvertierter Typ), von vorangegangenen Erlebnissen, die die Ausgangslage schon verschieben können, von der emotionalen Bedeutung eines von außen einwirkenden Geschehnisses.

Angst zum Beispiel erzeugt in einem Menschen Aggression, also einen hohen Sympathiko-Tonus (Tonus ist der Spannungszustand), bei einem anderen, der „den Kopf in den Sand steckt“, den völligen Rückzug. Und auch die Reaktionen auf Angst sind nicht bei jedem Einzelnen immer gleich, sondern schwanken mal in die eine oder andere Richtung.

Überdies ist die Zeitdauer des äußeren Stressors und seine Periodik (kontinuierliches oder frequenzielles Einwirken) maßgebend für den Umschlag der Sympathikus-Reaktionslage in eine Parasympathikus-Reaktionslage, wobei oft ein oszillierendes Wechselspiel der Reaktionstypen eintritt, das der in der Schallplattenrille festhängenden Nadel gleicht, und dieses Wechselspiel erzeugt schon von sich aus eine weitere Stress-Situation.

Nervensystem ausgleichen

Aus diesem Wirkungskomplex heraus kann sich die Symptomatik über kurz oder lang automatisieren. Mittlerweile ist das System nämlich so weit aus der Balance geraten, dass Fehlreaktionen vorprogrammiert sind. Der Effekt ähnelt der Situation in einem komplexen technischen System, wenn sowohl die Justierung der verschiedenen Reglergrößen als auch die die Abstimmung der Reglerkreise aufeinander verstellt ist.

So entsteht insgesamt ein Gewirr aus zum Teil vegetativ gegensätzlichen Symptomen, die oft durch raschen Wechsel des Überwiegens sympathischer oder parasympathischen Nervenimpulse bedingt werden. Und überdies reagiert der ganze Körper nicht überall mit dem gleichen Muster (Erregung des Sympathikus oder des Parasympathikus), sondern, auch abhängig von den Ausgangsbedingungen, kann der Bauch vegetativ anders reagieren als das Herz und die Haut anders als die Harnblase.

Fatal ist für die betroffenen Patienten die häufige Fehlinterpretation durch die Medizin. Weil das wirre Gemisch aus Symptomen selbstverständlich immer auch die Empfindungen und Stimmungen mit betrifft, wird die Krankheit jetzt mit einer psychosomatischen oder psychischen oder psychiatrischen Diagnose belegt. Wenn dann Psychopharmaka verabreicht werden, verschlimmern diese die Symptomatik oft statt zu lindern und das erlebte Unverständnis macht die Kranken noch einsamer.

Anatomisch sind die Nervenknoten des Sympathikus entlang der Wirbelsäule in enger Verbindung zum Rückenmark lokalisiert, die des Parasympathikus meist in unmittelbarer Nachbarschaft der inneren Organe.

Man kann es sich so vorstellen, als wäre am hinteren Teil des Schädels eine Strickleiter befestigt, die locker neben der Wirbelsäule bis zum Kreuzbein nach unten hängt, in sich aber weich und biegsam ist. Dort, wo sich die Knoten dieser Strickleitern befinden, also rechts und links neben der Wirbelsäule, sitzen so genannte Ganglien (Nervenknoten des Sympathikus), von denen aus die vegetativen Nervenfasern zu den Gewebestrukturen ziehen, die vom Sympathikus erreicht werden sollen.
Diese „Strickleiter“ muss frei beweglich sein, gewissermaßen elastisch gefedert, damit die Nervenimpulse aus diesen Ganglien in der richtigen Weise abgegeben werden können. Je starrer sie wird, desto weniger können sich Überreizungen im Sympathikus beruhigen.

Rückenschmerzen beeinflussen das Vegetativum

Rückenverspannungen, Haltungstörungen und andere Einflüsse, die den neben der Wirbelsäule befindlichen Sympathikus-Anteil des vegetativen Nervensystems verziehen, wirken sich insofern als dauernde Störeinflüsse auf das vegetative Nervensystem aus.
So erhöhen schon chronische Haltungsstörungen und Verziehungen der Körperstatik die Wahrscheinlichkeit, dass eine Störung des vegetativen Nervensystems eintreten kann. Und umgekehrt erzeugt ein chronischer Stresszustand seinerseits Muskelverspannungen des Rückens.

Aus dieser gegenseitigen Bedingtheit entsteht ein circulus vitiosus, der durch geeignete Maßnahmen  durchbrochen werden muss, wenn therapeutisch eine neue Balance im vegetativen Nervensystem angestrebt wird:

  • Alle Empfehlungen und Therapieverfahren, die den Rücken flexibler und elastischer machen, eignen sich gut zur Behandlung der beschriebenen chronischen Verspannungen der Muskulatur und des vegetativen Nervensystems:
  • Ergotherapeutisches bzw. krankengymnastisches Wechselspiel von Spannung und Dehnung,
  • manualtherapeutische Grifftechniken für die tiefen Muskelstränge entlang der Wirbelsäule,
  • neuraltherapeutische Reflexzonentherapie (Neuralakupunktur) entlang der Wirbelsäule,
  • Akupunktur,
  • entspannende und Energiestau lösende Therapie mit heilenden Händen,
  • Reiten,
  • Tanzen,
  • Wasser,
  • Sauna,
  • Trampolin,
  • Qi Gong,
  • Tai Chi, Yoga

– dies sind viele Möglichkeiten, positiv auf die Grenzstrangganglien des Sympathikus einzuwirken.

  • Ernährungsumstellung, deren Details in einer naturheilkundlichen Beratung geklärt werden sollten,
  • ggbf. Colonhydrotherapie,
  • Fiebertherapie,
  • biologische Milieutherapeutika
  • und Darmaufbau-Medikamente

– dies sind Strategien, die auf die Verbesserung des Parasympathikus zielen.

Wenn die Anfälligkeit für Störungen, die Wetterempfindlichkeit und die erhöhte Sensibilität gegenüber Außeneinflüssen eher konstitutionell bedingt ist und in der Familie gehäuft auftritt, hilft eine grundsätzliche homöopathische Behandlung oft nachhaltig, um den Schwachpunkt im eigenen Wesen verblassen zu lassen und die bislang eher verschütteten positiven Komponenten des Wesens zu entfalten.

Trauma

Wenn die Irritation des vegetativen Nervensystems eher eine Folge traumatischer Erfahrungen und Lebensereignisse ist, dann ist eine psychotherapeutische Behandlung hilfreicher, wobei nach meiner Erfahrung die psychotherapeutischen Techniken der Traumatherapie, Gestalttherapie oder Verhaltenstherapie wirksamer sind als die Beschränkung auf herkömmliche psychotherapeutische Gesprächsstrategie.

Umwelt

Wenn die Störung der Balance im vegetativen Nervensystem durch äußere Stressoren entstanden ist, zum Beispiel durch elektromagnetische Belastungen, durch Arbeitsbedingungen, durch sozialen Stress, durch Giftstoffe oder Störfelder, dann ist es selbstverständlich unabdingbar, die Quellen dieser Stressoren so weit wie möglich abzuschalten oder abzuschwächen.

Wo aber dies nicht hundertprozentig möglich ist (und das trifft leider nicht selten zu), dort wirkt es kontraproduktiv, immer weiter nur auf die auslösende Ursache zu starren. Dieser Blickwinkel fördert nämlich die Entwicklung einer Opferrollen-Situation, welche ihrerseits wiederum die tief greifende Störung im vegetativen Nervensystem verstärkt. Gerade hier gilt es, pragmatisch zu werden und nüchtern zu analysieren, wo der Schnittpunkt zwischen Abschirmung nach außen und Aufbau der eigenen Regenerationskräfte ist.

(…)

Förderung der Salutogenese (Gesundwerdung)

  • Gelassenheit zu entwickeln,
  • übertriebene Selbstkontrolle und Selbstbeobachtung abbauen,
  • pragmatisch denken und handeln lernen,
  • Verbissenheit abbauen,
  • Entscheidungen treffen und Unerledigtes nicht mehr vor sich her schieben,
  • chronische Frustrationen abbauen,
  • befriedigende Sexualität und Zärtlichkeit genießen,
  • „fünfe-grade-sein-lassen“,
  • Hobbies entwickeln oder wieder aufgreifen,
  • Musik,
  • Kunst und Kultur im Leben angemessenen Raum geben,
  • regelmäßige Bewegung im Freien und Sport,
  • Lachen,
  • Singen

– dies und Ähnliches mehr sind Möglichkeiten zur Verbesserung des vegetativen Nervensystems, die manchmal wirksamer sind als jede medizinische Behandlung.

Jedenfalls ist es zusätzlich zu medizinischen Behandlungen notwendig, einiges davon umzusetzen, und ohne dieses greifen medizinische Behandlung oft nicht alleine.

Quelle:

Ich teile hier den Newsletter (leicht modifiziert) mit freundlicher Genehmigung von Dr. Karl Braun-von Gladiß. Vielen Dank.

Hinweis: Alle auf meinen Seiten veröffentlichten Texte wurden von mir verfasst, sofern nicht explizit auf eine externe Quelle verwiesen wurde und haben keinen Anspruch auf umfassende Darstellung. Sie enthalten lediglich meine persönliche Meinung zu den dargestellten Themen. Alle vorgestellten Methoden beruhen auf naturheilkundlicher Erfahrungsmedizin und haben keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche Korrektheit. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass sich die schulmedizinische Lehrmeinung von meinen Darstellungen unterscheiden kann!

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